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AbbildungKatalog Bühner MR 1985, S.179

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2023, 28.Feb.: vor 175 Jahren

Fendt: Zur Volksversammlung im Buschischen Garten, 28.02.1848
Beginn der 48er Revolution in Giessen

Vorbemerkung:
In zwei Leserbriefen wollte der Autor an zwei Ereignisse erinnern. Das erste vom 10. Januar 1834.
Nach der Authentizitätsabfrage, ob der Leserbrief auch von mir stamme, erfolgte keine Veröffentlichung.
Er ist hier nachzulesen: Leserbrief
Einen Text zum zweiten Ereignis vom 28.02.1848 versuchte ich nicht mehr über die Allgemeine zu veröffentlichen sondern übergab einen (für mich) Schlüsseltext samt etlichen Begleitkommentaren zur historischen Bedeutung einem Mitarbeiter des Gießener Anzeigers.
Was daraus vom "Anzeiger" gemacht wird/wurde, wird mir vielleicht übermittelt.
Unabhängig davon folgt hier das "Rohmaterial":
Quelle: Fendt

S.83...
"Die ersten telegraphischen Nachrichten von der Februarrevolution in Paris, dem Sturze Louis Philippes, der Bildung der republikanischen provisorischen Regierung elektrisierten Alles, namentlich sebstredend uns paar radikale Studenten. Ich las die (84) Depeschen dem versammelten Publikum von allen Straßenecken ab, bis ich zuletzt ganz heiser war. "A bas les Bourbons! Vive la république!" war unsre Parole, und wir sahen in unserem leicht entzündeten Enthusiasmus eine schwarzrotgoldene deutsche Republik, wofür ich den alten "Vater Itzstein" als Präsidenten in petto hatte ...

und so bitter der spätere Katzenjammer der einbrechenden Raction und Verfolgung war, so denke ich doch heute noch mit wahrem Entzücken an jenen revolutionären Rausch der Märztage von 1848, wo uns Alles möglich, ja nicht unwahrscheinlich war. Die beiden Brüder Büchner, Louis und Alexander, ... sowie einige andre demokratische akademische Gesinnungsgenossen, , die sich bald darauf zu einem "republikanischen Club" zusammenthaten, und ich hielten Kriegsrat. Etwas mußte unzweifelhaft geschehen, um der, namentlich in unseren Kreisen, aufs Höchste aufgeregten öffentlichen Meinung irgend einen Ausdruck zu verschaffen. Eine Volksversammlung von Studenten und Bürgern im Busch'schen Garten! hieß es . Ganz recht, bemerkte ich, aber wir müsen doch einen respectablen älteren Mann, der nicht unmittelbar zu uns gehört, als Präsidenten haben. Sonst glauben die Philister, es sei eine reine Studentengeschichte und kommen gar nicht hin.

Da aber die Pariser Revolution noch nicht ganz fertig und daher das Präsidium einer solchen Versammlung mit einem gewissen Risiko verbunden war, so konnten wir am Ende mit der Diogeneslaterne auf die Suche gehen.Alex Büchner und ich übernahmen die Mission, unterwegs schon Alles per "Bürger!" und "Bürgerin!" republikanisch grüßend. Unser erster Gang war zu Carl Vogt, damals seit Kurzem erst außerordentlichem Professor der Naturwissenschaft, einem Gießener Kinde und anerkanntem Republikaner.
Da kamen wir aber gut an. "Ihr lieben Leutchen," antwortete er uns mit seinem bekannten, etwas frivolem Skeptizismus: "Das ist alles recht gut und schön und ich bin ganz mit euch einverstanden, das wir die Gelegenheit bednutzen müssen, so oder so. Aber wer gibt euch denn die Garantie, daß die Sache in Paris auch dauernden Bestand hat? Vielleicht bekommen wir morgen oder übermorgen eine Depesche, daß die ganze provisorische Regierung zusammengerumpelt und nach einem üblichen militärischen Massacre Louis Philippe samt seiner ganzen sippschaft und dem bekannten Regenschirm wieder eingesetzt ist.

Ich bin herzlich froh, daß ich trotz aller euch wohlbekannten Schikanen endlich einmal, wenn auch nur als Extraordinarius, in meiner Vaterstadt auf den Katheder gekommen bin. Und diese mühsam errungene Stellung sollte ich in diesen zweifelhaften Tagen, wo sich der politische Wind jeden Augenblick drehen kann, ins Blaue hinein riskieren? Ihr seid junge Studenten, denen es auf eine Handvoll nicht ankommet. Stürmt meinetwegen den Himmel und proklamiert die deutsche Republik - von heute auf morgen! Ich bin Professor und habe Rücksichten auf meine amtliche Stellung zu nehmen, die euch Tollköpfen fremd sind. Sucht euch für die mir zugedachte Charge einen Andern! Später wird's vielleicht schöner"...
Ich schlug den Hofgerichtsadvokaten Bansa vor, einen sogenannten "Demagogen", aus den 30er Jahren, der damals gleichzeitig mit Pfarrer Weidig "gesessen"....
Wegen eines gehabten Blutsturzes, sei für ihn aber jede Aufregung lebensgefärlich und ihm deshalb strengstens untersagt...

"Hole der Teufel alle Professoren und Advokaten" rief ich ergrimmt. Da es denn Keiner von uns Studenten sein darf, so nehmen wir einen anständigen Philister!" Der war bald gefunden in Gestalt eines in Gießen mit Recht sehr populären Bierwirths, Justus Kunz, der ebenfalls in den dreißger Jahren pro patria compromittiert war und auch nicht das geringste Bedenken trug, das ihm angetragene Mandat zu übernehmen. Über diese unsere drollige Präsidentenjagd (87) für die erste 1848 revolutionäre Gießener "Volksversammlung" muss ich heute noch Tränen lachen. ...

Am Abend des 28. Februar hielten wir denn im Busch'schen Garten unsere "Volksversammlung" mit bestem Erfolge ab. Struve hatte mir unmittelbar zuvor am Nachmittag die von ihm beschlossene, von einer Versammlung in Mannheim adoptierte Adresse an die badische zweite Kammer geschickt. Da sie in kurzen energischen Wortenden berechtigten Forderungen des Volkes packenden Ausdruck verlieh, so schlug ich sie, um unnütze Diskussionen zu vermeiden, unter allgeinem Applaus zufr sofortigen unverkürzten Annahme und Unterschrift vor. Sie lautete:

"Eine gewaltige Revolution hat Frankreich umgestaltet. Vielleicht in wenigen Tagen stehen französische Heere an unseren Grenzmarken, während Rußland die seinigen im Norden zusammenzieht. Ein Gedanke durchzuckt Europa. Das alte System wankt und zerfällt in Trümmer. Aller Orten haben die Völker mit kräftiger Hand die Rechte sich selbst genommen, welche ihre Machthaber ihnen vorenthielten. Deutschland darf nicht länger geduldig zusehen, wie es mit Füßen getreten wird. Das deutsche Volk hat das Recht zu verlangen:
"Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle Klassen der Gesellschaft, ohne Unterschied der Geburt und des Standes!"
"Die Zeit ist vorüber, die Mittel zu diesen Zwecken lange zu beraten. Was das Volk will, hat es durch seine gesetzlichen Vertreter, durch die Presse und durch Petitionenn deutlich genug ausgesprochen. Aus der großen Zahl von Maßregeln, durch deren Ergreifung allein das deutsche Volk gerettet werden kann, heben wir hervor:
1. Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Officiere.
2. Unbedingte Preßfreiheit.
3. Schwurgerichte nach dem Vorbilde Englands
4. Sofortige Herstellung eines deutschen Parlaments.
...
Es war das der richtige energische Ausdruck für die damalige öffentliche Stimmung. Und in solchen Momenten darf man keine langen Redensarten und Leitartikel, müßige staatsrechliche De- (88) ductionen, sondern nur packende Schlagworte wählen. Trotz des lauten Beifalls, den meine einleitende Rede von vornherein fand, regten sich doch in der Versammlung allerlei nachträgliche Bedenken. Als dieser und jener Teutonische Patriot die übliche Franzosenfresserei loslegen wollte, erhob ich dagegen lebhaften Protest mit der Bemerkung, daß wir den Franzosen mit ihrer Revolution von 1789 und ihren späteren anstoßgebenden Bewegungen allein die freiheitliche Fortentwicklung unsrer politischen Institutionen zu verdanken und uns heute Abend ja zunächst zu dem Zwecke versammelt hätten, auch ihre jetzige Pariser Februarrevolution zu "feiern", d.h. zugleich ins Deutsche zu übersetzen.

Das setzte in einer kleinen Coterie patentierter germanischer Nationalpatrioten, die sich als Contremine in der Nähe der Tribüne gruppiert hatten und gespensterseherisch schon von der drohenden Verschluckung des linken Rheinufers durch die republikanischen Rothosen phantasierten, einen wahren Sturm furiosester Entrüstung. Ein höchst gemäßigter liberaler Jugendfreund von mir, der jetzige Advokat B. in G., sprang, mit dem hessischen Strafgesetzbuche in der Hand, als eine Art improvisiertem freiwilligem Staatsanwalt unter unsre alledings sehr sanscülottische Gesellschaft und wie juristisch nach, dass unser Vorgehen laut Artikel so und so viel ein entschieden ungesetzlich revolutionäres sei. Ich lachte ihn aus.
Wie könne man jetzt von den und den Paragraphen eines früheren ractionären Strafcodex reden, wo die Welt aus den Fugen ginge und ganz neue politische Rechtsbegriffe zu ihrer unausbleiblichen Codification durch die gesetzgeberischen Faktoren hindrängten?
Wenn ihn der Ausdruck, daß der Zweck unserer heutigen Versammlung die "Feier" der letzten französischen Revolution sei, genire, so woll ich denselben meinetwegen dahin modificieren, daß letztere wenigstens die ganz unläugbare Veranlassung geboten habe. Der Erisapfel war nunmal von der Tribüne herabgefallen und nun trat als stets redefertiger Sprecher der hyperloyalen Minorität Professor Moritz Carrière in den Vordergrund.
Ein Mann der breiten, verwässernden selbstgefälligen Phrase, - "politischer Süßholzraspler" nannte ich ihn damals - wie es nur einen gibt. Er hatte eine höchst schwültig-langathmige, natürlich sehr devot-unterthänige Adresse aufgesetzt, worin es an die von Preußen und Rußland gegen Napoleon anno 1813 (!) erlassene, den Deutschen innere und äußere Freihei verheßende Proklamation von Kalisch anknüpfte und u.A. auch die von uns geforderte Volksbewaffnung nur zum Schutze gegen den drohenden Einfall der Franzosen verlangte. Ganz das alte Geschwätz - wasch' mir den Rücken und mach mich nicht nass! So sehr ich auch gegen dieses oratorische Eau de Cologne Einsprache erhob, das der schöngeistige Professor uns hineinträufeln wollte, so mußte doch auf andringen seiner claque darüber abgestimmt werden, welche Petition, ob die von mir befürwortete (Struwesche) Mannheimer oder die von Calisch datierende Crrièresche, angenommen werden sollte."Mannheim!" und "Carrière!" so tönte stürmisch das "Hie Welf!" durch den Busch'schen Gartensaal. Wir trennten uns in zwei Gruppen und "Mannheim", das entschiedne Manneswort hatte über "Carrière", die ästhetisch zahme Phrase, einen glänzenden Sieg errrungen. Die radikale Partei behauptete das Terrain auch unter Zustimmung der entschiedenen Majorität der anwesenden Bürgerschaft. Und so war die Stimmung jener für mich unvergesslichen Tage überhaupt.

Wir paar rebublikanischen Studenten, die freilich nicht im Geringsten an "mädchenhafter Schüchternheit" litten, sondern jederzeit und überall keck das Wort ergriffen und die Masse, das "souveräne Volk", wie wir es damals nannten, in unsrer Weise zu elektrisieren wußten, waren die Herren der Situation. Alle Pedellen und Polizeidiener, denen wir sonst die verdächtigsten Personen waren, salutierten uns respectvollst und namentlich die liebenwürdigen "Bürgerinnen" widtmeten uns die huldvollsten Grüße. Gebildete Damen, wenn sie dem Impulse ihrer Herzen folgen, sind durchweg republikanisch. Wir schwammen wie die Fische im Wasser, und in den ersten Tagen legten wir und regelmäßig mit der Hhoffnung zu Bette, nächstens Morgens eine Depesche in der Zeitung zu lesen, wonach sämtliche Potentaten Deutschlands nach England durchgebrannt seien. In diesem Falle hatten wir als anständige Kerle beschlossen, ihnen zur Ersparung von Weitläufigkeiten ihr ganzes Privatvermögen ohne juristische Untersuchungen über dessen Ursprung ungeschmälert zu garantieren.Welch naive Illusionen!. Nun, wir waren eben Studenten.

Kategorie:  Chronologie
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