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AbbildungNach dem 6. Dezember 1944, Kreuzplatz Richtung Johanneskirche© StAG

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Erste Eingabe: 21.02.2011
Letzte Eingabe: 28.10.2012

1944, 6. Dez.

Gießen, Luftangriff
schwerster aller Angriffe, "der Untergang des alten Gießen": Etikettierung fragwürdig, faktisch treffend.

"6. Dezember 1944, 20:03 bis 20:35 Uhr

247 RAF Bomber führen den schwersten Bombenangriff des Krieges auf Gießen durch. 1.207 t Brand- und Sprengbomben fallen auf Gießen und den Vorort Kleinlinden. Zwei Ziele hatte der Angriff:
1. Die Zerstörung der Bahnanlage. Hierfür wurden 133 Bomber eingesetzt, die 784,3 t Bomben abwarfen (G 128f.). Dieser Angriff erfolgte als punktueller Präzisionsangriff (G 94).
2. Die Zerstörung der Innenstadt, wofür 77 Bomber 419,7 Bomben abwarfen (G 128f.). Dieser Angriff erfolgte als Fächerangriff.
Um 20:03 fällt die erste Beleuchtung nordwestlich von Gießen, von 20:05 bis 20:10 setzen die Markierer die Markierungspunkte, wobei der Markierungspunkt “Rot” genau das geplante Ziel, das Gleisdreieck der Bahnlinien Wetzlar-Gießen und Gießen-Frankfurt am Ortseingang von Kleinlinden traf.
Gedränge am Himmel: Die geringe Breite des Zielgebietes und die Unerfahrenheit einiger Besatzungen führten unter den angreifenden Bombern zu Beinahekollisionen (G 94). Deutsche Nachtjagdmaschinen konnten bei dem Angriff auf Gießen eingreifen, obwohl sie zu dieser Zeit durch Verluste schon sehr dezimiert oder durch Spritmangel am Einsatz behindert waren. Nach britischen Angaben waren 14 deutsche Maschinen in die Kampfhandlungen verwickelt. Sieben englische Bomber stürzten ab, drei in der Nähe von Gießen (G 111). An der Verteidigung des Luftraumes waren leichte Flakeinheiten beteiligt, die sich an der Marburger Straße, am Wiesecker Weg und am Flughafen befanden, außerdem eine Eisenbahntransportflak (G 110).
Bahngebiet und Kleinlinden: Hier wurden vor allem das Betriebswerk und die Ringschuppen zerstört. Die weit vom Bahngelände entfernt gefundenen Waggonteile und Räder (Credner- und Hillebrandstraße) lassen auf eine Explosion von Treibstoffvorräten schließen (Lager Margaretenhütte oder in einem Zug). Schwer getroffen wurde das Gleisdreieck südlich der Gießener Bahnanlagen und der Vorort Kleinlinden, von dem ein Teil innerhalb des Gleisdreiecks mit zwei wichtigen Eisenbahnviadukten liegt, während der andere Teil von einem Halbkreis von Gleisen umgeben ist, der die Verbindung der Frankfurt-Gießener zur Eisenbahnlinie Gießen-Wetzlar bildet (G 128). Im Zentrum des Gleisdreiecks liegt der Ortsteil Bernhardshausen, wo in einem als sicher geglaubten Luftschutzkeller 30 Menschen durch den Sog einer Luftmine an die Decke geschleudert werden und an den Kopfverletzungen sterben.
Kliniksbereich: Der sich vom Kleinlindener Gleisdreieck ausbreitende Fächerangriff hatte zunächst den in nicht allzugroßer Entfernung von den Bahnanlagen befindlichen Bereich der Kliniken betroffen. In der getroffenen medizinischen Klinik gab es mehrere Tote. Aus der brennenden benachbarten Frauenklinik wurden noch in derselben Nacht die bettlägrigen Patienten in das ehemalige Kloster Arnsburg überführt (G 114). Mehrere Pavillons der Psychiatrischen Klinik wurden beschädigt. Die Veterinärklinik wurde nach den Beschädigungen vom 20. Juli 1944 noch einmal getroffen. Die Kinderklinik wurde durch einen Volltreffer zerstört, es gab ca. 30 Tote. Die Chirurgische Klinik und das Physiologische Institut, die Orthopädische Klinik und die Hautklinik wurden erheblich beschädigt, die Medizinische Polyklinik unbrauchbar (G 119).
Umgebung der Main-Weser-Bahnstrecke: Stark getroffen wurden die in unmittelbarer Nähe des Bahnbereich liegenden Straßenzüge Friedrichstraße, Alter Wetzlarer Weg, Frankfurter Straße, Liebigstraße, obere Bahnhofstraße. Während der Felsenkeller in der Bahnhofstraße als lediglich provisorischer Luftschutzraum nicht getroffen wurde, wurde der ebenfalls provisorische Luftschutzraum auf dem Gelände der Gummiwarenfabrik Poppe, ein ehemaliger Brauereikeller, für über 100 Schutzsuchende zur tödlichen Falle. Ein Volltreffer durchschlug die Erdabdeckung und das Gewölbe (G 122). Westlich der Main-Weser-Bahn gab es im Bereich Margaretenhütte, Güterbahnhof, Elektrizitätswerk, städtischer Fuhrpark und Stadtwerke Gebäudeschäden.
Innenstadt: Im Bereich der Innenstadt ist es einfacher die nicht oder weniger zerstörten Bereiche zu erwähnen: in der Bahnhofstraße und im südlichen Seltersweg blieben ausser den Eckhäusern am Selterstor einige Häuserzeilen stehen. Ansonsten überstanden wie durch ein Wunder kaum beschädigt einige Gebäude die Luftminen und Stabbrandbomben wie z.B. das Gasthaus Zum Löwen und das Neue Schloß, während in unmittelbarer Nachbarschaft alles zerstört wurde. Auf Gießen fielen ca. 155.000 Brandbomben, Augenzeugen berichten dass im Zentrum 6-8 Brandbomben pro qm lagen. Die unzähligen Einzelbrände konnten nicht gelöscht werden. Es entstand ein Flächenbrand, der das eng bebaute Zentrum mit dem großen Anteil an Fachwerkhäusern verbrennen ließ. Das Flammenmeer wurde vom wie eine Fackel brennenden Stadtkirchenturm überragt."
PSB, Bombenkrieg 1994 S. 33f.

Kategorie:  Chronologie
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