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1830, 16.-20.9.

Berlin: Schneiderrevolution
Polizeieinsatz, Eskadron, Prügelstrafen

wiki-2013-04:
Schneiderrevolution
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Als Schneiderrevolution (gelegentlich auch: Schneiderkrawall oder Schneideraufruhr) werden lokale Unruhen zwischen dem 16. und 20. September 1830 in Berlin bezeichnet. Auch wenn es sich eher um einen Aufruhr handelte als um eine Revolution, hat sich in der historischen Literatur der Begriff Schneiderrevolution etabliert.

Ausgelöst durch die Julirevolution in Frankreich kam es zu politisch motivierten Massenversammlungen mit der Forderung nach Freiheit und Gleichheit, die unter Militäreinsatz gewaltsam niedergeschlagen wurden und zu zahlreichen Verhaftungen führten. Neben den politischen spielten soziale Elemente wie Ansätze zur Maschinenstürmerei und fiskalische Gründe eine Rolle. Der überforderte Magistrat von Berlin kritisierte zwar die Willkür und Härte des Militärs, stand den Ursachen des Konflikts jedoch verständnislos gegenüber und betrachtete ihn in erster Linie als „Unfug“ beziehungsweise Störung der öffentlichen Ordnung. Zeitgenössische Liberale wie der später in der Märzrevolution involvierte Adolf Streckfuß belächelten die Unruhen als kleinliches und erbärmliches Revolutiönchen, das jämmerlich verpufft sei.[1] Nach Einschätzung heutiger Historiker spiegeln sie wie auch die fünf Jahre später folgende Feuerwerksrevolution die zunehmende Politisierung breiter Bevölkerungsschichten in der Zeit des Vormärz wider.

...Polizeiwillkür als Auslöser des Aufruhrs 1830
Breite Straße um 1890 mit dem 1670 erbauten Alten Marstall

Anlass des Aufruhrs war eine willkürliche Polizeiaktion. In der Herberge der Schneidergesellen in der Breiten Straße rief der Geselle Daniel Schupp am 14. September aus: Brüder, es lebe die Freiheit! Es lebe die Gleichheit! Kommt, Brüder, ich werde euch anführen, die Revolution bricht aus, mit der Breiten Straße wollen wir den Anfang machen, und dann geht es weiter. Der Aufruf blieb zwar folgenlos, dennoch wurde Schupp am 15. September vom Polizeikommissar Seidel verhaftet. Einen Tag später verhaftete Seidel acht weitere Schneidergesellen, weil sie angeblich arbeits- und brotlos waren. Das erwies sich später als Irrtum und selbst die Behörden mussten zugeben, dass die Verhaftungen ohne gehörige Prüfung erfolgt seien. Nachdem mehrere tausend Zunftgenossen vor der Köllnischen Wache die Freilassung der willkürlich Inhaftierten gefordert hatten, wurden weitere 17 Personen arretiert. Zu den Verhafteten gehörten drei Steinsetzer, zwei Schneider sowie je ein Kaufmann, Seidenwirker, Konditorgehilfe, Werkmeister, Predigtamtskandidat, Lederzurichter, Tafeldecker, Buchdrucker, Maurerlehrling, Schlächter, Geldarbeiter und Handelsmann.[1]
Aufruhr und Militäreinsatz

Am 17. September kam es zu einer Massenversammlung überwiegend jüngerer Leute der arbeitenden Klassen auf dem Schloßplatz. Nachdem Steine geflogen waren und nach einem Handgemenge zwischen dem „Pöbel“ und Grenadieren zerstreuten Dragoner und Ulanen die Menge mit gezogenem Säbel und teilweise scharfen Hieben. Der Militäreinsatz wurde in der Polizeinotiz verschwiegen. Es folgten 73 weitere Verhaftungen. Dem Einsatz und den Militärpatrouillen in den Straßen am folgenden Tag bescheinigte der Stadtrat Carl Knoblauch schlechtes Betragen […], die überall fliehende Haufen verfolgten und auf einzelne, ohne daß sie sich zur Wehr setzten und die teils […] sich ruhig vor ihren Häusern hielten, einhieben.[2]

Ein Anschlagzettel, der mit „Brutus“ unterzeichnet war, zeigte zwar den tiefen Riss zwischen König Friedrich Wilhelm III. und seiner Hauptstadt, machte laut Ilja Mieck aber auch deutlich, dass man weniger den König, sondern eher die reaktionäre Clique um Wittgenstein und Kamptz für die Nichteinhaltung der königlichen Verfassungsversprechen verantwortlich machte:[3]

„Auf, auf, ihr Teutsche! Schüttelt das Joch ab, welches seit 15 Jahren immer drückender geworden ist. Blickt nach Süden und Westen, da seht ihr ein ruhmvolles Beispiel, wie sich andere Nationen mit Gewalt ihre Freiheit erkämpfen. Wollen wir diesen nachstehen? Wollen wir noch länger Sklaven bleiben? Nein, brave teutsche Mitbrüder! Fort mit der absoluten Gewalt! Nieder mit den Händen der Tyrannei, den Gendarmen. Es lebe die Nation, es lebe eine repräsentative Verfassung! Es lebe der konstitutionelle König.“

– Brutus (Anschlagzettel, 17. oder 18. September 1830).[4]

Trotz eines Aufrufs der Behörden zu Ruhe und Ordnung (siehe Folgekapitel) setzten sich die Unruhen am 19. September fort. Pflastersteine flogen und Fensterscheiben gingen zu Bruch. Erneut griff das Militär ein und die Menge wich erst zurück, als eine Eskadron in stärkstem Galopp in die Ansammlung hineinritt. Eine Kompanie Infanterie ergriff die Niedergerittenen und schleppte sie zur Wache. Am 20. September war die Ruhe weitgehend wiederhergestellt. 200 der 208 Verhafteten wurden später verurteilt.[5] Davon wurden 25 den Gerichten überstellt, 175 Verhaftete erhielten Polizeistrafen, darunter: zwischen 10 und 20 Peitschenhiebe; 2 bis 8 Tage Arrest bei Wasser und Brot; 14 Tage Arbeitshaus – die höchste Polizeistrafe. Drei Lehrlinge im Alter von 14 und 15 Jahren erhielten 20 Peitschenhiebe.[6]

Kategorie:  Chronologie
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