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1933, 1. April

Boykottaktion 1. April Gießen, Tagebuch Georg Edward
Edwards als Boykottbrecher im Schaufenster.

s. Edward 2005
"8(h) S.112 f.
1933: 1. April (Sa) – Alle jüdischen Geschäfte sind heute von den Nationalsozialisten boykot-tiert und uniformierte SA und SS vor den Ladentüren aufgestellt. Sie sollen niemand mit Ge-walt vom Betreten der Geschäfte zurückhalten, aber jedermann darauf aufmerksam machen, dass der Eigentümer ein Jude sei. Um 10 Uhr ging ich nach dem Seltersweg, um ein paar Ro-sen für Frau Weisskopfs Geburtstag zu kaufen. Ein SA-Mann an der Tür des Blumengeschäfts sagte: „Jüdischer Laden“, weiter nichts. Der Eigentümer des Geschäfts sagte mir, er habe Strassburg nach dem Kriege verlassen, um Deutscher zu bleiben. Ich brachte meine Rosen zu Frau Weisskopf, dann besuchte ich nicht weniger als vierzehn jüdische Geschäfte, wobei ich mich weigerte, mich von den Hitler-Banditen zurückhalten zu lassen. In der Schulstrasse wurde die Lage gefährlich: SS- und SA-Männer umringten mich und ein SA-Mann packte mich an und nannte mich einen „Provokateur“. Als er sich weigerte, mich loszulassen, rief ich einen Polizisten herbei, der ihn zur Seite stiess. Als ich aus einem der Geschäfte herauskam, wurde ich von einem SA-Mann photographiert, aber meine Hoffnung, dass andere Leute mei-nem Beispiel folgen und die jüdischen Geschäfte besuchen würden, erfüllte sich nicht. Auf dem Heimweg wurde ich von zwei Dutzend jungen Kerlen auf Rädern begleitet, die anschei-nend dahinter kommen wollten, wer ich sei. Nachher ging ich noch zu Kanns hinüber, wo ich eine ganze Anzahl nervöser Menschen traf. Ein Herr Marx, Lehrer an der Synagoge, erzählte mir, die Juden, mit denen er gesprochen habe, nachdem sie von den Hitlerschen Gangsters in ihre Kneipe gebracht worden waren, seien dort geschlagen und getreten worden. SA-Männer hätten mit Pistolen und Flinten Wache vor dem Lokal gestanden, das gleiche sei vor der Syn-agoge der Fall gewesen, wo sie die Leute davon abgehalten hätten, das Gotteshaus zu betre-ten. Jüdische Richter, Rechtsanwälte und öffentliche Beamte sind aus ihren Stellungen ent-fernt worden. Die schändlichste, ordinärste Sprache wird von solchen Leuten wie Göring, Goebbels und Tausenden von unbedeutenderen Nationalsozialisten angewendet, um die Juden herabzusetzen und zu beleidigen. Ich bin froh, dass ich mich nicht im Ausland befinde, ich würde mich vor Scham nicht zu lassen wissen. – Nachmittags gehe ich zu Georg Gail, mit dem ich über alles spreche. Er stimmt mit mir in jeder Beziehung überein.

8(h) S.113
1933: 7. April (Fr) – Traf Dr. Thyriot, der sich auf dem Weg zu seiner Redaktion befand und erzählte ihm von meinem Erlebnis mit den Nationalsozialisten, was er für eine Tollkühnheit meinerseits erklärte. Ich merkte, dass er Angst davor hatte, mit mir zu gehen oder gesehen zu werden. – Ich höre, meine Photographie als „Boykottbrecher“ ist im Schaufenster der „Ober-hessischen Tageszeitung“, ein Nazi-Hetzblatt, dessen Besitzer der Gauleiter Sprenger in Frankfurt ist, ein ungebildeter Prolet und verbissener Nationalsozialist."

Kategorie:  Chronologie
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