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1871, 18.März

Aufstand der Pariser Kommune - Flucht der französischen Regierung aus Paris nach Versailles


Wiki 20.03.12

Die Kanonen von Montmartre [Bearbeiten]
Abtransport der Kanonen nach Montmartre (zeitgenössische Darstellung)

Zum Zündfunken dieses Aufstands wurde der übereilte Versuch der Thiers-Regierung, die Nationalgarde zu schwächen, von der sie sich zunehmend militärisch bedroht fühlte. Am Morgen des 18. März versuchten die Regierungstruppen den Zugriff auf die 227 Kanonen, welche die Nationalgarde aus den Außenbezirken von Paris vor den Deutschen gerettet hatte, doch schlug dies kolossal fehl, da die abkommandierten Soldaten, anstatt ihren Befehl auszuführen, mit der Menge fraternisierten. Die Generäle Lecomte und Clément Thomas, die vorher befohlen hatten, auf die versammelte Volksmenge zu schießen, wurden gar von den eigenen Soldaten getötet, worauf die Regierung mitsamt den Truppen und dem Großteil der Beamtenschaft nach Versailles flüchtete. Daraufhin zogen die verschiedenen Nationalgarden, besonders aus den Arbeiterquartieren Montmartre und Belleville, unabhängig voneinander ins Stadtzentrum von Paris. Teilweise wurden schon zu diesem Zeitpunkt Polizeiposten und Ministerien besetzt, während die bürgerlichen Nationalgarden stillhielten. Dem Zentralkomitee der Nationalgarde war damit plötzlich die politische Schlüsselrolle zugefallen.

Der von den radikalsten Kräften geforderte sofortige Marsch auf Versailles fand allerdings nicht statt. Das Streben nach vollständiger Autonomie und die Furcht vor dem Eingreifen der immer noch in der Stadt stationierten deutschen Truppen überwogen den Willen zu einer vollständigen politischen Revolution.
Die Tage der Kommune [Bearbeiten]

Zunächst übernahm das Zentralkomitee der Nationalgarde die Macht in Paris, schrieb aber, da „es sich nicht anmaße, an die Stelle jener Männer zu treten, die der Atem des Volkes hinweggefegt hat“,[3] sich also explizit nicht als Regierung begriff, schnell Wahlen zum Gemeinderat aus. Diese mündeten am 26. März in einen Sieg linksbürgerlicher, kommunistischer und sozialistischer Abgeordneter. Das Zentralkomitee gab damit die Regierungsverantwortung ab, behielt sich aber ausdrücklich die Entscheidungsgewalt über militärische Fragen vor. Der Gemeinderat (franz. Commune) verkündete die allgemeine Volksbewaffnung und ordnete die Verteidigung von Paris sowohl gegen die vor den Toren der Hauptstadt stehenden deutschen Truppen als auch gegen die französischen Regierungstruppen an.
Die Reste der Vendôme-Säule, die als Symbol der Herrschaft Napoléons von den Kommunarden umgestürzt worden war; im Vordergrund Barrikaden
Kommunarden auf den Barrikaden auf der Place Vendôme an der Einmündung der Rue de Castiglione

Unter den Kommunarden herrschte Einigkeit bei dem Ziel, die gerade erlangte Autonomie von Paris um jeden Preis und notfalls auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Des Weiteren war man sich in dem Bestreben einig, als gewählte Körperschaft des Volkes die Schaffung von menschenwürdigen sozialen Verhältnissen zur Aufgabe zu haben.

Bei der Frage, wie diese Ziele erreicht werden sollten, standen sich jedoch im Gemeinderat zwei Fraktionen gegenüber: Auf der einen Seite stand der Wunsch nach sofortigen Sozialreformen und einer kompletten Neuordnung der Gesellschaft, was sich durch den Anspruch begründete, sich eine auf föderalistischen, freiheitlichen und humanistischen Prinzipien basierende moralische und soziale Legitimation bei der Bevölkerung zu verschaffen, ohne die der Waffengang mit Versailles nicht gewonnen werden konnte. Die Kommune sollte also als reines unterstützendes Organ der Massen fungieren, jedoch nur bedingt als eine Führungsriege. Auf der anderen Seite wurde gemäß der Absicht des autoritären Flügels der Kommune, Sozialreformen zunächst zu verschieben, die schnelle Unterwerfung der Versaillais zum vornehmlichen Ziel auserkoren. Die Kommune wäre also demnach eher eine Kriegskommission gewesen, die die staatliche Macht auf sich vereinigte und zur Durchsetzung ihrer Ziele auch vor Gewaltmaßnahmen nicht zurückschreckte.

Unter dem Eindruck der steigenden Intensität des Bürgerkriegs erlangte die autoritäre Fraktion bald ein höheres Gewicht im Gemeinderat. Dies wurde zusätzlich durch den Austritt gemäßigter Vertreter begünstigt, nachdem am 4. Mai nach einer Kampfabstimmung ein aus der Revolution von 1789 bekannter Wohlfahrtsausschuss gebildet wurde, der mit quasi diktatorischen Vollmachten ausgestattet war und dessen Mitglieder nur der Kommune verantwortlich waren.

Die Kommune begann mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Bürger verbessern sollten. Als soziale Maßnahmen sind vor allem ein Dekret über den rückwirkenden Erlass von fälligen Mieten, der Erlass über die Rückgabe von verpfändeten Gegenständen, insbesondere von „Kleidungsstücken, Möbeln, Wäsche, Büchern, Bettzeug und Arbeitswerkzeugen“[4] und die Abschaffung der Nachtarbeit für Bäckergesellen zu nennen.

Andere Dekrete waren grundsätzlicher Natur und spiegeln den säkularen und sozialreformerischen Anspruch der Kommune wider; dazu gehört beispielsweise die Trennung von Kirche und Staat und das Dekret, wonach von ihren Besitzern bei der Flucht der Regierung verlassene Fabriken in Kollektiveigentum überführt und durch eine „kooperative Assoziation der Arbeiter“[5] betrieben werden sollten. Dazu gehört auch, dass die Kommune den Waisen von bei der Verteidigung von Paris gefallenen Nationalgardisten eine Pension zugestand, egal ob es sich dabei um legitime oder illegitime Kinder handelte.

Zu den Verordnungen zählten darüber hinaus auch symbolische Akte, wie die Verbrennung der Guillotine auf der Place Voltaire oder der Sturz der Vendôme-Säule, dem Symbol der Napoléonischen Feldzüge.
Zerstörungen in Paris, hier des Hôtel de Ville Cour de Louis XIV
Die blutige Maiwoche [Bearbeiten]

Am 2. April begann die Regierung in Versailles mit militärischen Angriffen auf die Stadt, die sich bald zu einer Belagerung entwickelten. Zunächst gelang es der durch den Krieg geschwächten französischen Armee nicht, sich gegen die Kommunarden durchzusetzen. Nachdem die Regierung die auch in der Provinz vereinzelt aufflammenden Aufstände mit Hilfe deutscher Unterstützung durch Waffenlieferungen und Freilassung der Kriegsgefangenen niedergeschlagen hatte, gingen die regulären französischen Truppen aber immer effektiver gegen die militärisch eher unorganisierten Kommunarden vor.

Am 21. Mai 1871 drangen Regierungstruppen in die Befestigungsanlagen der Stadt ein. Die Organisationsstrukturen der Kommune brachen damit effektiv zusammen und sie kehrte quasi wieder zu dem Zustand bei ihrer Gründung zurück – als dezentraler Kampf in den Pariser Stadtbezirken. Der verbissene Kampf während der so genannten „Blutigen Maiwoche“, der vor allem um Barrikaden in den Pariser Straßen geführt wurde, dauerte bis zum 28. Mai. In den Kämpfen und den folgenden Massenexekutionen wurden etwa 30.000 Menschen getötet und etwa 40.000 inhaftiert. Die meisten gefangenen Kommunarden wurden entweder sofort standrechtlich erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles deportiert. Die Regierungstruppen verzeichneten 900 Gefallene, die Kommunarden töteten im Verlauf der Kämpfe rund 70 Geiseln; zur Umsetzung des sogenannten „Geiseldekrets“ vom 17. Mai, wonach die Exekution jedes Kommunarden durch die Regierungstruppen „mit der Exekution der dreifachen Anzahl Geiseln“[6] durch die Kommune beantwortet werden würde, kam es nie. Ein angestrebter Gefangenenaustausch zwischen Paris und Versailles, den Erzbischof von Paris Georges Darboy gegen den Revolutionär Louis-Auguste Blanqui, scheiterte am Widerstand der Thiers-Regierung und endete mit der Exekution des Erzbischofs. Ob die Zerstörung des Pariser Rathauses, des Finanzministeriums und der Tuilerien, dem Wahrzeichen des Despotismus, die während des Todeskampfs der Kommune den Flammen zum Opfer fielen, auf bewusste Brandstiftungen oder nicht doch Petroleumbomben der französischen Armee zurückzuführen ist, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei belegen.

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